Das imaginäre Saarland
Am Sonntag begingen der Keks und ich unser 2-Jähriges und es war ein japanisches Kirschblütenfest. Jedenfalls sassen wir abends, nachem ich bei "Walk the line" diverse Tränchen verdrückt hatte, in unserer Lieblingskaschemme Tire Bouchon und futterten vom Pöbel weitestgehend unbehelligt, als die irgendwann unvermeidliche Frage an uns herangetragen wurde: "Iss hia noch frei?" Ein kurzer Seitenblick und mir schwante böses, das sich auch umgehend bewahrheiten sollte.
Der junge Mann, der sich mir schräg gegenüber niederliess, war Schriftsteller, so Ende 20 und seine nicht minder reizende Begleitung anscheinend Groupie, zumindest liess die Art der penetrant überidentifizierenden Fragen genug Raum zu der Annahme, das der gemeinsame Abend für sie nicht unbedingt hier sein Ende finden sollte.
Ich hasse es, die Gespräche fremder Leute mitanhören zu müssen. Ich will's nicht wissen und es geht mich nichts an und ich weiss auch, das die Gespräche, die ich häufig führe, nicht selten Anlass zum schmunzeln und An-Den-Kopf-Gefasse geben, denn wie soll ein mir fremder Mensch wissen, das ich durchaus auch in der Lage bin, Gescheites von mir zu geben, nur eben nicht dann, wenn man mir tatsächlich zuhört? Ich vermeide es immerhin, bei Unterhaltungen die magischen 100 db zu überschreiten, aber unserem Tischgast waren Lärmpegelbeschränkungen wohl eher wumpe.
Zunächst wurde natürlich Wein bestellt und der Schriftsteller fing in Gegenwart von Yassim, dem nettesten Kellner des kontinentalen Festlandes kurz an, über Wein zu dozieren, wusste aber ob der ihm genannten Weinsorten bald nicht mehr weiter und bestellte irgendwas "schweres".
Dann ging die Diskussion mit der Begleiterin los und ich musste ihn Dinge sagen hören wie: "Ich fühle ganz tief in meinem Herzen eine unstillbare Sehnsucht nach Natur, doch ich befürchte, das mein Ideal des kleinstädtischen Lebens nicht mit der Realität übereinstimmt." und "ich habe ja eine Familie, doch es ist nur eine imaginäre Familie, genauso wie mein Saarland nur ein imaginäres Saarland ist!" und "Du findest mich wahrscheinlich unendlich lächerlich, wenn ich das jetzt so sage".
Imaginäres Saarland? Tief in seinem Herzen? Da wir fertig waren, beschlossen wir, möglichst umgehend in unsere imaginäre Bude zu fahren um eher handfeste Dinge zu tun, und beim Aufstehen fiel mir endlich auf, was mich schon lange an den Schriftstellern stutzig macht: Die Anzüge. Nichts gegen Anzüge, habe ich selber, aber jeder, wirklich jeder, der in den letzten Jahren ein Buch bei einem Verlag unterbringen konnte, schien von der geheimen Bruderschaft der Buchautoren dazu verdonnert worden zu sein, einen Anzug zu tragen. Warum? Ist das eigene Vertrauen in den hochkulturellen Gehalt des Geschriebenen so gering, dass man seine Ernsthaftigkeit und gegebenfalls Reife durch die Kleidung unterstreichen muss? Gut, bei Jugendbuchautoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre und seinen tristen Kollegen kann ich das mehr als nur verstehen, aber warum sollte sonst jemand das nötig haben?
Dabei gibt eine wichtige Regel: Kravatten nur im äussersten Notfall. Der Schriftsteller von heute geht lieber ohne und lässt auch ganz bewusst die oberen beiden Hemdknöpfe auf, denn er ist Bohemién und als solcher kann er es sich leisten, auch mit den Kleidervorschriften zu spielen, aber natürlich nur soweit, als das seine Ernsthaftigkeit nicht darunter leidet.
Darum ist mein Lieblingsschriftsteller natürlich kein Anzugträger. Es ist der schwitzende, zigarillorauchende Freak, der bei "Smoke" manchmal in den Laden kommt und keinem mehr was beweisen muss, denn er kriegt seit langem eh nichts mehr zustande.
"I had no ambition at all"
Bob Dylan
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