Ein Blog ist zwei Öltanks
Jens Scholz, Verfasser eines der meistgelesenen blogs hierzulande, hat ein flammendes Plädoyer für die Relevanz seines Hobbys gehalten.
(Ich wollte ihm das eigentlich als Kommentar schreiben, durfte aber nur 2500 Zeichen verwenden, was natürlich zu wenig ist.)
So kann man das natürlich sehen. Man kann sich die Relevanz aber auch prima selber zuschustern.
Weblogs helfen mir, mein Weltbild zu justieren, denn das, was so gerne mal als irrelevant hingestellt wird ist die Wirklichkeit, in die ich dank Weblogs die vielen vermeintlich wichtigen Ereignisse, die mir in den Medien aufgetischt werden, sehr viel besser einordnen kann. Weblogs sind der Rückkanal aus der Realität.
Interessanter Text. Aber besteht Deine Realitätausschliesslich aus Leuten, die sich einen Internetzugang sowie einen Computer leisten können und die auch das Selbstbewusstsein sowie das technische Verständnis haben, einen blog zu schreiben? Ich kenne keinen Moslem in Deutschland, dessen Meinung zum Karikaturenstreit ich lesen durfte; auch keinen Obdachlosen oder Harz IV-Empfänger, der mir was über sein Leben bloggt. Das mag schlichte Unwissenheit sein, aber ich vermute mal, das diese Personengruppen eher in der Unterzahl sein dürften.
Wenn ich sehe, wie medienseitig die Angst vor weltweit Amok laufenden Islamisten geschürt wird, weil im vorderen Orient scheinbar die Mobs wüten und ich über die Weblogs herausfinde, daß man hier wie dort lediglich politische Kampagnen abspult, die mit den Menschen hier wie dort eigentlich nichts zu tun haben, dann kann ich mich informiert fühlen, statt manipuliert.
Again: Du wirst von einer Elite informiert, die lediglich einen Gesellschaftsausschnitt representiert.
Weblogs erzeugen Kreativität. Richtige Kreativität, nicht diese Pseudokreativität, die Kultur, Spaß, Kunst und Begegnung in Produkte und Verkaufsveranstaltungen verwandeln, gebrandet und gesponsort und so organisiert, daß man Konsument ist und nicht Teilnehmer. Das brauch ich auch nicht mehr: Es gibt seit einiger Zeit plötzlich Lesungen, Blogger-Treffen, gute Musik jenseits der Major Labels, tolle Aktionen, bei denen keine Rücksicht auf Werbepartner oder Mainstreamtauglichkeit genommen werden muß. Und wo finde ich das, wenn ich was hören, lesen oder sehen will? Oder wo finde ich die Ideen oder auch Leute, mit denen auch ich kreativ werden kann? In den Weblogs.
Wenn ich mich recht entsinne hat es Lesungen, gute Musik jenseits der Major Labels, tolle Aktionen ohne Rücksicht auf Werbepartner oder Mainstreamtauglichkeit auch schon lange vor der Erfindung des blog gegegben. Das hat natürlich ein wenig zugenommen, seit diese Sau durchs Dorf getrieben wird, aber es ist ja nun nicht so, als ob jeder, der eine Idee hat, das auch im Internet präsentieren will.
Weblogs zeigen mir die Leute, auf die es wirklich ankommt, nämlich die, die um mich herum leben. Ich lese in den Weblogs, wie Krankenpfleger ihren Alltag meistern und wie Ärztinnen es schaffen, einen Knochenjob und Kindererziehung zu bewältigen. Ich lese, was bei anderen Schief geht und verfolge mit, wie sie das Problem lösen (oder zumindest damit umgehen).
Ich frage mich ernsthaft, was Du für Freunde hast. Sind das alles ausschliesslich Akademiker und Intellektuelle? Du kanntest vorher keinen Menschen, der körperlich schwer arbeiten musste und auch niemanden, der Dir erzählt hat, wie er mit Problemen umgeht und sie löst?
Daß eine einfache technische Idee es ermöglicht hat, eine soziale Kultur zu erschaffen, die sich den Filtern Konsum, Medien und Politik entzieht, indem sie die einfach nicht mehr braucht, das ist das revolutionäre an Weblogs.
Stimmt, sie schafft eine soziale Kultur; ich vermute aber mal, dass Du das im Sinne von die soziale Kultur meinst. Und das stimmt einfach nicht.
Ich finde weblogs klasse, um da keine Missverständniss zu schaffen. Was ich aber nicht verstehen kann ist mein Eindruck, das viele blogger sich da eine Identität zurechtphantasieren, die natürlich auch sofort revolutionär ist und mindestens ein neues soziales Phänomen (web 2.0! ) repräsentiert. Dann muss man natürlich sofort Klübchen bilden, in denen man sich gegenseitig auf die Schulter klopfen kann ob der enormen Wichtigkeit des eigenen Tuns. Alles für den Dackel, alles für den Hund.
Kann man den Ball nicht einfach mal flach halten? Die meisten blogs, denen man begegnet, bestehen aus privatem Mist, der ganz interessant ist und dem man vielleicht eine gewisse Relevanz zuerkennen kann, die aber meilenweit davon entfernt sind, "etablierten Medien Konkurrenz" machen zu wollen oder die Realität "so zu zeigen, wie sie ist". Die interessantesten und tiefgehendsten Begegnungen mache ich immer noch im täglichen Umgang.
Blogs bestehen zu 90% auch nur aus schlichten Meinungen, aber es heisst nicht zu unrecht: Meinungen sind wie Arschlöcher: Jeder hat eins.
3 Comments:
Ich glaube, du interpretierst da viel in Scholzens Text hinein, was da so nicht steht/eben doch nicht so gemeint ist, wie du es auslegst ("die soziale Kultur" z.B.). Auch kann ich Scholz' Erweiterung des Freundeskreises gut nachvollziehen - es gibt nicht viele Leute, deren Freundekreis sich durch ausnahmslos alle sozialen Schichten zieht. Denke ich mir mal so. Meiner jedenfalls nicht. Wenn deiner das tut: herzlichen Glückwunsch. Dann bist du zu beneiden.
Interessanter Text, nichtsdestotrotz.
Nein, durch sämtliche "soziale Schichten" zieht sich auch mein Freundeskreis nicht, aber ein paar sind schon dabei. Halte ich irgendwie aber auch für recht normal.
Natürlich ist das alles etwas polemisch, aber Jenas Scholz ist ja nicht dumm und hat das in einer Ausschliesslichkeit formuliert, die darauf schliessen lässt, das er das so empfindet.
Und ja, Captain: Auch mein Narzissmus hat hier ein Betätigungsfeld gefunden, das weitgehd frei von Schienenbeintritten ist. Dafür kann ich mich jetzt besser auf wirklich wichtige Dinge konzentrieren. Wie Biertrinken.
hi, die vermeintliche ausschließlichkeit ist nur ein stilmittel, das in glossen oft verwendung findet - und mein text ist im prinzip eine glosse. das heißt, ich fixiere ein paar punkte, die mir wichtig sind und lasse bewusst alles weg, was sie relativiert. der text wäre dreimal so lang und dreimal weniger aussagekräftig, hätte ich da wirklich so differenziert, man eskönnte und du es ja gemacht hast.
die frage ist nun: stimmt die grundaussage nicht immer noch? ichkannsehr gut deine einwände nachvollziehen, denn sie stimmen. nichtsdestotrotz: wenn ich erklären sollte, was ich persönlich am bloggen gut finde (was die idee des aufsatzes war),käme ich auf dasselbe ergebnis.
was findest du denn, bringt dir bloggen und blogs lesen?
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