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Dienstag, März 14, 2006

Nett sind sie alle.

Gings eben noch um zuviel Distanz, so fehlt sie wieder woanders. In der aktuellen Rolling Stone-Ausgabe (jaja, ich weiss, ich habs schon wieder getan) gibt es eine Kolumne von Joachim Hentschel namens "The Pop Life". Dort beklagt er sich über einen generellen Distanzverlust der "Indie-Szene":
"Das auf schmierige Art Kumpelhaft, Schulterklopfende, komplett Distanzlose, das früher als typisch proletenhaft galt, ist längst im Wertekanon der sogenannten Indie-Szene angekommen - also in einem Kreis, der sich trotz hundertausendfacher Umsätze noch immer als Solidarbund gegen den Massengeschmack versteht, als Villa Kunterbunt der künstlerischen Freiheit, als freigeistiger Mittelstand, wo jedes gemeinsam umgekippte Bier noch ein Statement gegen Spießer und obskure "Hipster" sein soll".

Und da mittlerweile jeder mit jedem befreundet sei und sowieso ungefragt auf der Gästeliste stehe, ist Pop-Kritik eigentlich kaum noch möglich - exemplarisch belegt durch Tomtes Thees Uhlmann mediale Überpräsenz.

Wem ausser Boogie und mir fällt noch Danny Dziuks "Nett sind sie alle" ein?

Das Problem ist weder neu noch originell. Und vor allem ist es das Problem der Poppresse, wenn sie sich aufgrund von Gefälligkeiten in irgendeiner Schuld sieht. Oder hat jemand noch nicht bemerkt, das sich ein Gross der "Rockschreiber" aus Tüpen rekrutiert, deren einziger Strohhalm zu mehr Selbstachtung aus dem Ausnutzen der vermeintlichen Machtposition "Kritiker" besteht?

Entweder sie dürfen mit "ihnen" abhängen, welche so tun, als seien sie ihre Freunde, dann kann der Rockschreiber seine Existenz vom Glanz des Produkts ein wenig aufpolieren lassen. (Vor einigen Monaten gab es im RS exakt einen solchen Artikel über Coldplay, in dem sich der Schreiber kaum einkriegte, dass er tatsächlich mit den grossen Coldplay abhängen durfte). Oder die "Stars" sind doof zum Redaktuer oder er mag sie aus sonstigen Gründen nicht, dann kann er sie mit allem Recht in Grund und Boden schreiben.

Problematisch wirds nur, wenn der Redakteur tatsächlich über etwas schreiben muss, zu dem noch keine 29 Meinungen publiziert wurden. Oder wie kommt es, dass so ziemlich alle Blättchen über die gleichen Bands schreiben? Über die es natürlich auch schon genug anderes zu lesen gibt, sonst müsste der Schreiber sich anstrengen oder würde in Gefahr stehen, sich zum Deppen zu machen, sollten im Folgenden nicht alle in den gleichen Chor miteinstimmen (was aber sehr selten passiert).

Aber wenn es nicht diese Gründe sind, dann sind es schlicht wirtschaftliche. Wie oft habe ich, als ich noch als Plattenfirmenfuzzi arbeitete und wieder mal selber Promo machen musste, nach Bitten um Rezensionen am Telefon hören müssen: "Ihr habt aber auch schon lange keine Anzeige mehr bei uns geschaltet..." Und dann kauft man sich den Rolling Stone, CD des Monats ist Franz Ferdinand und wer hat die ganze Heftrückseite gekauft? Franz Ferdinands Label. Verstehe.

Letztlich geht es doch schlicht um die Glaubwürdigkeit, und die ist ja auf dem gesamten Printsektor nicht mal eben auf dem Vormarsch.* Aber speziell die arrivierte Musikpresse hat immer Schwierigkeiten gehabt, sich eine gewisse professionelle Objektivität zu wahren. Das Schultergeklopfe der "Indie-Szene" ist vielleicht in dem Maße in Deutschland neu, aber auch nur ein Teil des alten Problems. Und das dann selber im eigenen Medium als Problem zu thematisieren, ist nicht kokett, sondern in dieser Form ein bisschen dümmlich.

Aber es gibt ja gottseidank noch Chuck Norris Wiglaf Droste. Und DER wird niemals Dein Freund sein...

*Man muss das aber auch mal in Relation sehen: Wenn die "taz" mal eine ganzseitige Anzeige von Dr. Rath NICHT druckt, dann ist zwar nicht gleich in die ganze Zeitung in Gefahr, bedeutet aber einen herben Einbruch in der Finanzierung.

Der RS gehört Springer.

3 Comments:

At 2:15 PM, Blogger Mr. Nap said...

Der Artikel von Wigalf Droste passt auf jeden Fall nicht in das beklagte kumpelhafte Verhalten der Kritiker.

In dem Punkt das Überall die gleichen Platten abgefeiert werden stimme ich Dir vollkommen zu. Ein Beispiel vom letzten Jahr sind die beiden Bright Eyes Alben, die nur gute Kritiken bekommen haben. Dabei finde ich sie einfach nur nett in Richtung Belanglos tangierend.

Die vier wichtigsten (großen) deutschen Musikmagazine kann man eigentlich nicht mehr lesen. Der Musikexpress ist zu oberflächlich. Hat nicht wirklich was informatives. Der Rolling Stone ist aus meiner Sicht zu eintönig. Zu der Spex hab ich nie einen Draht gefunden. Und Visions schriebt seit ein paar Jahren überwiegend nur noch Scheiße und orientieren sich als Alternative/Indiemagazin auch nur am Hippnessfaktor. Vor fünf Jahren haben sie der Americanamucke keine einzige Zeile gewidmet und seit Saddle Creek - sich ist ja alles so toll. Sind mir auch zu subjektiv - wenn Ihnen was nicht gefällt, kommen sie sehr schnell auf die beleidigende Schiene.

Was der Visions subjektiv ganz übel nehme, ist dass sie keinen Bericht über das REM-Album Reveal geschrieben haben (kam erst 1 oder 2 Ausgaben später). ABER: Zum erscheinen des neuen Depeche Mode Albums (das kam am selben Tag raus wie das REM-Album) eine Depeche Mode Titelstory brachten. Was ist bitte an Depeche Mode mehr Alternativ/Indie als an REM? Beide haben sehr viel für die Musik gemacht und Depeche Mode waren doch einiges früher kommerziel Erfolgreich als REM.

Soviel um Thema Musikkritiker.

PS.: Möchte noch erwähnen das ich kommerziellen Erfolg von Bands nicht schlimm finde solange sie sich weiterentwickeln und zum X.Mal das gleiche Album machen. Es ist ja wohl jedem Musiker zu gönnen das er von seiner Musik leben kann.

PS2.: Zum Saddle Creek Hype: Die band Criteria wurde doch auch sehr gelobt, oder? Live aber total langweilig und unspannend.

 
At 4:06 PM, Blogger The Haarbüschel said...

Eigentlich ist es schon sehr komisch: Ich möchte Wetten, das es noch nie soviel Musik gab wie heute, aber der Medienfokus wird immer enger. Kein Wunder, das blogs da immer populärer werden. Recht so.

SAddle Creek ist auch ein gutes Beispiel, zumal ich diesen ewig seine Adoleszenz bejammernden Oberst keine 10 Sekunden ertragen kann.

Und wechend dem Weiterentwickeln: Wenn Eement of crimes nächste 10 Platten genauso klingen: Super. Alle anderen: So geht das aber nich!

Wir Sind Helden sind auch ein schönes Gegenbeispiel. Auch, wenn es da wohl einige unschöne Szenen gab, die ich leider nicht mehr zusammenkriege.

Ursprünglich hat sich wohl jemand völlig anderes um die gekümmert, aber als die dann anfingen, richtig viel Interesse zu generieren, wurde der ursprüngliche "Entdecker" dann ganz schnell von der neuen Plattenfirma zum Teufel geschickt. Muss mal schaun, ob ich da nochmal mehr zu erfahre.

Gibt - Gott sei dank! - ja auch noch mehr Gutes im Bösen, sonst wär es ja völlig unerträglich.

 
At 10:33 AM, Blogger Mr. Nap said...

Da ich grad auf der Seite von Plattentests.de war: Auch Plattentests rührt die Suppe im großen medialen Einheitbrei mit.

@ Haarbüschel: Finde die neue Element of Crime nicht so dolle. Wollte sie mir kaufen, aber nach 2maligen reinhören konnte ich dieser Platte nichts abgewinnen. Sind aber einen der besseren deutschsprachigen Bands und haben Gott sei Dank nichts mit der Hamburger Schule gemeinsam, die sich mittlerweile zu oft wiederholt.

Ach so: Okkervil River haben laut Plattentests und Immergut Festival bei Virgin unterschrieben. Gefällt mir eindeutig besser als Bright Eyes.

 

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