Das Haus.
Florian hatte mich irgendwann im Bus nach Hause angesprochen. Ich war noch ziemlich frisch an der Schule und versuchte, durch das penetrante mitgeführe eines "Aktenkoffers" wenigstens so viel Respekt o.ä. zu erheischen, dass man mich weitestgehend in Ruhe liess. Nachdem ich Florian kennengelernt hatte, war das aber bald nicht mehr nötig.
Die restliche Schulzeit wurde dann stramm durchgetrunken und eh man die Flasche wieder absetzen konnte sah er mich mit einem Schulterzucken an und wir fingen beide an zu lachen, packten unsere Sachen und verliessen den Raum. Es war die Abiklausur in Biologie und wir hatten beide nicht die geringste Ahnung, was zum Teufel diese Fragen bedeuten sollten.
Irgendwann nach dem Zivildienst machte er dann wahr, wovon er lange gesprochen hatte: Mit vielen netten Leuten in einem grossen Haus wohnen. In Bonn Kessenich fand er ein fast 100-jähriges Gebäude mit 3 Stockwerken, ziemlich vielen Zimmern und einem Garten, in dem es sich unter alten Bäumen famos weitertrinken liess, ohne, dass der Gedanke an den Heimweg die allgemeine Sinnestrübung noch eine Spur dunkler färben würde. Es war 1994, der Himmel war die Grenze.
Das Haus nun. Luisenstr. 129, damals noch freistehend, war zwar schön, aber nicht unbedingt in einem Zustand, den man reinen Gewissens als "bezugsfertig" hätte bezeichnen mögen. Ich erinnere mich noch sehr genau, mit Spachtel und Hämmerchen auf den Knien im dritten Stock die feine Estrich-Decke abgeklöppelt zu haben, die irgendein altvorderes Arschloch über die Dielen gekippt hatte. Möge die Frucht seines Leibes bis ins dritte Glied schlechte Knie haben! Nicht mehr weiss ich, wer zu den Gründungsvätern und Müttern gehörte, die sich dort niedergelassen haben. Martin K. wird dabei gewesen sein, Florians Bruder Daniel wohl auch.
Jedenfalls war ich immer neidisch auf dieses Haus in Bonn, dass immer etwas mutterhaftes für mich ausstrahlte. Ich wohnte noch mit meinem Vater in Niederkassel und Florian hatte es geschafft, dem verfickten Dreckskaff, wie die Agglomeration von Kuhdörfern nun schon seit ewigen Zeiten geschimpft wurde, ein Johnny-Cash-in-der-Grand-Old-Opry-eskes "Fuck You" in die vom Kleinstadtmief entstellte Fratze zu brüllen. In den darauffolgenden Jahren überlegte ich bei jedem dortigen Insassenwechsel, ebenfalls meine Zelte in Niederkassel abzubrechen und nach Bonn in die Luisenstr. Zu ziehen. Das habe ich zwar nie gemacht, aber um so lieber war ich da. Und das nicht selten.
Erstmal Florians Zimmer. Zwei Stück, unterm Dach, zwei Briefmarken. Trotzdem war es kuschelig dort, wenn wir wieder bis zum Morgengrauen vor seinem Mac saßen und gezielt Zeit verschwendet haben. Mein Gott, da war gerade mal das WWW erfunden wurden! Irgendwann ging dann das Bier immer aus und wir mussten zur Tanke laufen, um den Nachschub sicher zu stellen. Kaum zuhause merkte man, das man ja eigentlich noch Hunger hatte und es wurden Pellkas gekocht und mit Pfundstücken Butter und jeder Menge Salz verputzt. Wenn wir dann irgendwann mit den Köpfen auf die Tastaturen knallten, bin ich immer in Florians neonfarbenen Schlafsack gekrochen und habe mich auf die Ausklappcouch im anderen Zimmer verfügt, um dann mit ordentlichen Katern des Morgens die Heimreise in weniger entzückende Gegenden anzutreten.
Dann die Küche! Nicht sehr gross, aber mit einem riesigen Holztisch in der Mitte. Man konnte regelrecht riechen, wie sehr sich - natürlich weitestgehend vergeblich - um eine gewisse Grundordnung bemüht wurde. An der ebenfalls stattlichen Schultafel stand immer irgendwelches Zeug, und dort hingen dann auch immer meine Postkarten, die ich all die Jahre immer an Flo geschickt habe. Aber vielleicht waren sie eigentlich auch immer an das Haus gerichtet.
Auf dem Klo oben war schon bald ein Gary Larson-Kalender installiert worden, der mich über die Jahre hinweg mit immer neuen Witzen versorgen sollte. Irgendwann kam Florian dann auf die Idee, genau vor der Kloschüssel ein Geldstück mit Sekundenkleber auf alle Ewigkeit zu fixieren und er konnte sich schlapplachen bei dem Gedanken, das jeder Depp versuchen würde, es aufzulesen.
Ach ja, Christine W. war auch von Anfang an dabei. Florian und ich hatten bei der Deutschen ReportageFilm gejobbt, um uns unseren USA-Urlaub zu finanzieren und ich hatte mich sofort in sie verguckt. Aber wie immer stand Florian einen lockeren Kölner Dom weiter oben auf der weiblichen Interessen-Skala und die beiden sind dann irgendwann mit dem Bausatz-Bugatti von Christines Vater durch die Gegend geheizt...
Es ist wie immer, je mehr man nachdenkt, desto mehr Geschichten fallen einem ein. Die David-Bowie-Karten, die Flo für mich gekauft und als Gewinn einer Verlossung des Kölner Stadtanzeigers ausgegeben hatte, was nur rausgekommen ist, weil wir zufällig rüber zu Christine mussten und sie ein Computer-Problem hatte, mit dem ich mich befasste.
Das Klo unten, dessen Tür man nicht schliessen konnte, wenn man drauf sass. Martins Canabis-Zucht im Kleiderschtank. Das Rudel Fahrräder im Hausflur, das IMMER im Weg stand, wenn man raus oder rein wollte. Der Keller, in dem immer gefeiert wurde...
Nunja, jetzt ist's vorbei; Florian zieht aus. Dabei war er für mich imnmer der Herbergsvater und Motor der ganzen Geschichte, und mit seinem Auszug gibt es auch für mich keinen Grund mehr, in der Luisenstr. vorbei zugehen. Die anderen Mitbewohner kenne ich schon lange nicht mehr.
Ich glaube, Florian und die 129, sie haben sich gesucht und gefunden. Es hat seine Bewohner immer gut behandelt, und zumindest von Florian weiß ich, dass er dem Haus immer viel Liebe und Respekt entgegengebracht hat. Es wird noch lange in ihren Geschichten vorkommen, die man sich erzählen wird und so, wie es schon vor seinen Bewohnern in den letzten 11 Jahre existiert hat, gibt es gute Chancen, dass es auch in den nächsten hundert Jahren noch viele weitere Bewohner sehen wird
Also, Luisenstr. Vielen Dank für die schönen Jahre und - machs gut.
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